Der Golem

hier noch etwas zum Thema „Der Name“ von DuD 01/2015. Dort ging es um die Bedeutung des Namens jenseits seiner Bestimmung, Individuen unterscheidbar zu machen. Der Name verortet den Menschen; er haftet ihm an und ist Zugang zu ihm. Der Mensch wird beim Namen gerufen. Man glaubt, dass auch Gott sich daran halte und die Toten einst bei ihren Namen aufrufen werde. Der Name hat also in sich, dass ihm neben distinktiv funktionaler auch eine transzendent schicksalshafte Bedeutung zukommt. Das kann – wie zuletzt gesagt – so weit gehen, dass der Betroffene seinen wahren Namen geheim hält und nur Auserwählten bekannt gibt. Das deuten die Schriften auch vom Namen Gottes an. Moses gegenüber nennt sich Gott „Der-da-ist-ich-bin-da“ (2. Mose 3.14), also nicht beim Namen. Von Rabbi Löw in Prag, heißt es, er habe den geheimen Namen gekannt und angewendet. Wie erzählt wird, wollte er seinerzeit seiner Gemeinde Erleichterung vor den Anwürfen des Missbrauchs christlicher Kinder verschaffen. Dazu brauchte er einen geeigneten Wächter. Der hatte zu verhindern, dass Kinderleichen heimlich ins Ghetto getragen und abgelegt würden. Dafür besorgte der Rabbi einen Lehmklumpen und machte daraus mit zwei Helfern einen unfertigen Menschen, einen Golem. Dieser namenlose Golem kam letztlich so zu Stande, dass der Rabbi der Lehmfigur einen Zettel mit dem geheimen Namen Gottes unter die Zunge legte. Mit der Macht dieses Namens erweckte er nach kabbalistischem Ritus den Lehmklumpen zum Golem. Der so Geschaffene tat danach, was immer man ihm auftrug; automatisch, präzise und unreflektiert. Er machte auch Besorgungen für die Rabbinerin. Das war dem Rabbi nicht recht. Der Golem musste weg; die jüdische Gemeinde war inzwischen von den Anwürfen entlastet; der Golem hatte seine Bestimmung erfüllt. So entwickelte ihn der Rabbi nach kabbalistischen Ritus zu einem Haufen Lehm zurück. Dieser ist auf dem Dachboden der Altneusynagoge in der Prager Josefstadt zu besichtigen. Rabbi Löw ist historisch verbrieft. Er war ein geschätzter Gesprächspartner seines am Ort lebenden Kaisers, des Habsburgers Rudolf II. Dieser Kaiser fällt in die Übergangszeit der Renaissance in das Barock, in die Zeit des so genannten Manierismus. Er hing den Künsten der Renaissance an, jedoch nicht naiv unreflektiert sondern – ähnlich wie wir heute – intellektuell akzentuierend. Er förderte die humanistischen Wissenschaften, beschäftigte Alchemisten und Astronomen wie Johannes Kepler oder Tycho de Brahe, bediente sich aber vorzugsweise ihrer astrologischen Kenntnisse. Bekannt ist sein Porträt, das der manieristische Maler Arcimboldo gemalt hat, in dem der Kaiser in Form einer Komposition aus Gartenfrüchten dargestellt ist. Erbkrank von seiner Urgroßmutter her, verfiel der Kaiser der Melancholie. Er wurde für seine politische Funktion zu zögerlich und unentschlossen. So wurde er schließlich von seinem jüngeren Bruder Matthias erst stilldann abgesetzt und in seinen kaiserlich-königlichen Würden abgelöst. Es war die Zeit des Langen Türkenkriegs und der Unruhen der Reformation, eine vom Irrationalen überschattete Zeit. Die Geschichten von dem Golem passen also gut in sie hinein. Zurück zum Namen: Wir geben ihm heute, im Gegensatz zu damals, eine säkulare Bedeutung. Wir beladen ihn bis an den Rand seiner Kapazität mit distinktiven Funktionen. Dieser Kontrast zu damals mag interessant sein. Doch ist auch beachtenswert, dass in den Kinderzeiten des Computers und auch des Datenschutzes häufig die Rede vom Golem war. Man befürchtete, der Computer würde ein Golem sein, der Aufträge unreflektiert und ohne Rücksicht auf die Folgen durchführt. Man zitierte dazu den Prager Journalisten Karel Čapek und dessen Golem, den „RUR Rozums Universal Robot“. Aber, da der Computer wie der Golem vom Menschen geschaffen war, verließ man sich darauf, dass man nur den Zettel mit dem Namen Gottes unter der Zunge zu entfernen brauchte, um die Gefahr zu bannen. Heute, liebe Leserinnen und Leser, wissen wir, dass das nicht so einfach ist.