Des Deutschen liebstes Kind

Seit seiner Erfindung Ende des 19. Jahrhunderts unterliegt das Automobil einem stetigen Wandel. Über lange Jahre hinweg standen dabei Steigerung der Effizienz, Leistung und (Betriebs)Sicherheit im Vordergrund. Natürlich dürften auch zunehmend schönere Designs und ein Mehr an Komfort maßgeblich dazu beigetragen haben, dass das Auto schließlich zum „liebsten Kind“ der Deutschen wurde. Dass das Automobil – in neudeutsch – eine disruptive Technologie war, konnte man anfangs kaum erahnen. Das Zitat „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung”, soll auf Kaiser Wilhelm II. zurückgehen. Die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche macht auch vor dem Automobil nicht halt. Bisher nehmen wir als Autofahrer die Digitalisierung hauptsächlich im Bereich der Komfortund Assistenzfunktionen wahr. Navigationssysteme, Einparkhilfen, Bremsassistenten – wer würde da schon an Datenschutz oder Datensicherheit denken? Doch unter der Haube (um im Bild zu bleiben) tut sich einiges mehr. Die elektronischen Steuersysteme im Fahrzeug sind schon lange über einen oder mehrere Bussysteme intern vernetzt. Hinzu kommt, dass sich moderne Fahrzeuge über eine Internetverbindung per Mobilfunk mindestens mit dem Hersteller verbinden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Standards für die fahrzeuginternen Bussysteme noch aus einer Zeit stammen, in der Bedrohungen durch Angriffe von außen keine besondere Rolle spielten. Nun werden also die neuerdings vorhandenen Internetverbindungen dazu genutzt, Schwachstellen zu schließen, die erst durch die Vernetzung zu ernsthaften Bedrohungen werden können. Für die nächste Stufe der Digitalisierung stehen Vorbereitungen für das autonome Fahren an. Fahrzeuge sollen nicht nur mit dem Hersteller kommunizieren, sondern auch untereinander sicher Daten austauschen. Sicher bedeutet hier, dass die Authentizität der Daten durch den Einsatz von elektronischen Signaturen gewährleistet werden soll. Die Vertraulichkeit der Daten muss leider auf der Strecke bleiben (um wieder mal im Bild zu bleiben), denn die Daten sollen ja gerade mit möglichst jedem anderen Fahrzeug sowie bestimmten Infrastrukturkomponenten geteilt werden. Eine Verschlüsselung würde hier der Quadratur des Kreises entsprechen. Daher sollte es Möglichkeiten geben, den Inhalt und den Umfang der per Broadcast verschickten Nachrichten ggf. auch situationsabhängig einzuschränken. Das geht aber wiederum nur mit automatisierter Unterstützung durch den Bordcomputer und sinnvoll (vor)eingestellten Regeln, denn der Fahrer wird sich wohl kaum dauernd damit selbst befassen wollen. Neben den offensichtlichen Datenschutzaspekten müssen aber auch sicherheitstechnische Fragen betrachtet werden. Zahlreiche Signaturschlüssel müssen verteilt, verwaltet und die zugehörigen privaten Schlüssel sicher im Fahrzeug gespeichert werden. Dazu kommen Public Key Infrastrukturen zum Einsatz, die nahtlos länderübergreifend nutzbar sein müssen. Doch Kryptographie und besonders die Implementierung der Verfahren ist auch von Alterungsprozessen betroffen. So wie viele andere Bauteile eines Fahrzeugs regelmäßig geprüft und erneuert werden müssen, sollten wir zukünftig auch Sicherheitselemente zum Beispiel alle 5 Jahre wechseln. Sicher leichter gefordert als realisiert: Der Wechsel auf neue Parameter, Schlüssellängen oder gar ein neues Kryptoverfahren ist kompliziert, müssen doch alle anderen Fahrzeuge die neuen Signaturen verifizieren können. Wie sich unser geliebtes Auto in den nächsten Jahren mit all diesen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung weiterentwickeln wird, kann sicherlich niemand voraussehen. Mit diesem Schwerpunktheft „Automotive – ITund DS-Konzepte“ wollen wir die oben kurz angerissenen Aspekte in ausführlichen Beiträgen vertiefen. Natürlich ist ein einziges Schwerpunktheft nicht ausreichend, um die ganze Bandbreite der aufkommenden technischen Entwicklungen aufzugreifen. Es soll vielmehr einen Denkanstoß dafür liefern, die benötigten Technologien „richtig“ zu entwickeln, also Datenschutz und IT-Sicherheit gleichberechtigt neben der Betriebssicherheit („Safety“) als fundamentale Konzepte in der Fahrzeugtechnik zu begreifen. Daran wird sich schließlich zeigen, ob die Digitalisierung des Automobils und das autonome Fahren die nächste disruptive Entwicklung sein wird. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine interessante Lektüre.