Wie sollen Flüchtlinge in Europa verteilt werden? Der Streit um einen Paradigmenwechsel in der EU-Asylpolitik
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Am 19. Januar 2016 richtete der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk einen dringlichen Appell an die Mitgliedstaaten: „Wir haben nur zwei Monate, um die Dinge in den Griff zu bekommen, [sonst] droht ein Ende des Schengen-Systems“.1 Er bezog sich auf die Probleme der Europäischen Union, eine adäquate Antwort auf die Flüchtlingskrise zu finden. Auch der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker rief die Staaten dazu auf, ihre „nationale[n] Egoismen“ endlich zu überwinden. Beschlüsse, wie etwa die Umsiedlungsmaßnahmen für Flüchtlinge oder der Aufbau eines europäischen Grenzund Küstenschutzes, müssten rasch umgesetzt werden.2 Der Umgang mit der Flüchtlingskrise ist zu einer zentralen – laut der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sogar „historischen“3 – Bewährungsprobe für die Europäische Union geworden. Der Widerstand der osteuropäischen Länder, sich an einer EU-weiten Umsiedlungsaktion für neu ankommende Flüchtlinge zu beteiligen, sowie die Errichtung von neuen Grenzzäunen und -kontrollen verdeutlichten die Schwierigkeiten der Europäischen Union, einen gemeinsamen europäischen Ansatz zu finden. Dieser Beitrag bettet die aktuellen Versuche der Europäischen Union, ihre Asylpolitik im Kontext der Flüchtlingskrise zu reformieren, in einen längeren Untersuchungszeitraum ein. Er setzt bei der Reaktion der Europäischen Union auf die Probleme in den Asylsystemen Griechenlands und einiger anderer Staaten an, die schon kurz nach Ausbruch der Finanzund Wirtschaftskrise sichtbar wurden. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf der Frage, wie die Europäische Union versucht hat, mehr Solidarität zwischen EU-Staaten mit hohen Asylantragszahlen und solchen mit niedrigen Zahlen zu erreichen. Der Streit um eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen in Europa entzündete sich vor allem am Dublin-System, das bestimmt, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Südliche EU-Mitgliedstaaten beklagten, dass das Dublin-Prinzip des Ersteinreiselands die Verantwortung für die Abwicklung von Asylverfahren zu ihnen verlagere. Nördlicher gelegene Staaten wie Deutschland und Österreich verwiesen auf ihre hohen Asylantragszahlen, um diese Vorwürfe zurückzuweisen. Der Beitrag argumentiert, dass es die Europäische Union trotz des über Jahre gestiegenen Problemdrucks nicht geschafft hat, einen Paradigmenwechsel in dieser Frage zu vollziehen. Die während der Flüchtlingskrise beschlossenen Maßnahmen – wie der Verteilungsschlüssel für 160.000 Asylsuchende – versuchten, das Dublin-System mit Krisensituationen kompatibel zu machen und nicht seine Grundprinzipien zu ändern.