CÄSAR IM URTEIL DER ZEITGENOSSEN

Eine Persönlichkeit von der Größenordnung Casars lebt nicht nur im Wissen der Nachwelt fort, sondern stärker noch in der Magie einer dunklen gefühlsmäßigen Kunde, die von Geschlecht zu Geschlecht weiterging. Ihr Glanz verblaßt nicht mit den Jahrtausenden; er scheint eher zuzunehmen. In einer längst versunkenen Epoche, die den meisten Menschen langweilig oder gleichgültig geworden ist, weckt doch dieser eine Mann Teilnahme besonderer Art. Sie beruht bei Laien mehr auf dem Gefühl als auf Kenntnissen. Aber auch der Fachgelehrte unterliegt Cäsar gegenüber der Wirkung irrationaler Momente, der Faszination. Wohl keiner Persönlichkeit des Altertums wird über das quellenmäßig Bezeugte hinaus so viel zugetraut an Handlungen, Beweggründen und Plänen, von denen nichts oder nichts Verläßliches überliefert ist. Dem Historiker erscheint es ex eventu als zwangsläufig, daß das Senatsregiment durch die Monarchie abgelöst wurde. Er erblickt in der Herrschaft des Augustus den politischen und zugleich kulturellen Höhepunkt der römischen Geschichte. Daß ohne das Auftreten Cäsars es zu dieser Entwicklung nicht hätte kommen können, oder wenigstens nicht schnell genug, erscheint sicher. Damit verbleibt nur die Frage, wie der Leistungsanteil Cäsars gegen den des Augustus abzugrenzen sei; ob Cäsar als der eigentliche Begründer des Reiches angesprochen werden dürfe oder als der Wegbahner und geniale Finder der Konzeption. Sie wird in verschiedenartiger Modifikation beantwortet. Aber die Anerkennung einer eminenten bewußten Leistung Cäsars für den Fortschritt der römischen Geschichte steht für die überwiegende Mehrzahl maßgeblicher Forscher als Voraussetzung fest. Dieses Gesamturteil der Neuzeit über Cäsar steht zu dem des Altertums und insbesondere der unmittelbar Miterlebenden in einem Widerspruch, der ernsteste Beachtung verdient. Sind denn die Zeitgenossen, die Miterlebenden, nicht maßgebliche, wenn nicht gar die maßgeblichsten Zeugen? Dem körmte allerdings mit Gegenüberlegungen grundsätzlicher Art begegnet werden: Waren die Zeitgenossen wirklich berufene Urteiler? War ihr Urteil nicht vielmehr getrübt durch .allzugroße Anteilnahme, beschränkt durch Mangel an Distanz?