Virtuelle Realitäten für die chirurgische Ausbildung: Strukturen, Algorithmen und ihre Anwendung

Die vorliegende Arbeit beschreibt Strukturen und Algorithmen zum Bau virtueller Realitaten fur die chirurgische Ausbildung. Anwendungsbeispiel ist die Software des Augenoperationssimulators EyeSi; alle Verfahren wurden aber in groserer Allgemeinheit fur die Softwarebibliothek VRM (Virtuelle Realitat in der Medizin) implementiert. (1) Datenreprasentation: Zu Reprasentation der Daten einer virtuellen Welt wird ein gerichteter Multigraph mit attributierten Knoten und gefarbten Kanten vorgeschlagen. Die strukturelle Information wird in knotenzentrierten Adjazenzlisten gespeichert. Um schnellen sequentiellen Zugriff zu ermoglichen, konnen einzelne Attribute in zusammenhangenden Speicherbereichen abgelegt werden. Mit Hilfe einer dunnen Zugriffsschicht werden Sichten auf Subgraphen definiert, innerhalb derer Typsicherheit und Zugriffsschutz gewahrleistet sind. Ausdrucksmachtigkeit und Zugriffsgeschwindigkeit des Datenformats ermoglichen es, alle Informationen uber die virtuelle Welt auf einheitliche Weise zu reprasentieren -- die inneren Strukturen der Objekte genauso wie szenegraphahnliche Beziehungen der Objekte untereinander. (2) Softwarearchitektur: Die Software fur einen VR-Simulator wird in die Komponenten I/O (VR-Interfaces), Simulation (Berechnung der physikalischen Vorgange) und Systemsteuerung (GUI, Benutzerverwaltung, Multimedia-Ausgabe) aufgeteilt. Die Komponenten werden auf logische und softwaretechnische Weise getrennt, so dass die Softwareentwicklung in unabhangigen Teilprojekten erfolgen kann. Die Datenstrome zwischen den Komponenten konnen umgeleitet werden. Dies ermoglicht es beispielsweise, Trainingssitzungen aufzuzeichnen und wiederzugeben, mehrere Simulatoren miteinander zu koppeln oder den grafischen Renderer auszutauschen. Anhand bestehender psychologischer Untersuchungen wird eine VR-Echtzeitbedingung definiert. Auf der Basis von Laufzeitmessungen wird diskutiert, unter welchen Bedingungen die VR-Echtzeitbedingung auch auf Standard-PCs erfullt werden kann. Es wird vorgeschlagen, zeitintensive Vorgange auf unabhangige, aber synchron arbeitende Subsysteme auszulagern. EyeSi setzt diesen Vorschlag bei der Kollisionserkennung mit Grafikoperationen sowie bei der FPGA-basierten Bildverarbeitung des Trackingsystems um. (3) Gewebeinteraktion: Der erste Schritt bei der Berechnung einer Gewebeinteraktion ist die Erkennung der Kollision zwischen einem Instrument und einem Gewebestuck. Standard-Verfahren sind haufig ungeeignet, da sie die moglichen Objektformen zu sehr einschranken oder eine zeitaufwandige Vorberechnung benotigen. Es wurde daher ein bildbasiertes Verfahren entwickelt, das auf einem Vorschlag von Myszkowski et al. (1995) basiert. Es wird gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen ein lokales Konvexitatskriterium gilt, mit dessen Hilfe ein Rendering-Schritt eingespart werden kann. Durch Berucksichtigung der vorgegebenen Interaktions- und Deformationsrichtungen entfallt ein weiterer Rendering-Schritt. Fur die Berechnung von Deformationsvektoren werden die z-Buffer-Eintrage genutzt, kollidierende Polygone werden uber eine eindeutige Farbung im Color-Buffer identifiziert. Es wird gezeigt, dass mit diesem Ansatz Kollisionserkennung und -antwort in EyeSi schnell genug berechnet werden konnen. Es wird diskutiert, wie bei der Kollisionsantwort Oszillationen und daraus resultierende numerische Instabilitaten vermieden werden konnen. Fur die Gewebedeformation stellt die VRM-Bibliothek FEM-Verfahren, ChainMail- und Feder-Masse-Modelle zur Verfugung. Es werden verschiedene Integrationsmethoden fur Feder-Masse-Modelle diskutiert. Um bei expliziter Integration den Stabilitatsbereich zu vergrosern, wird die Dehnungskorrektor von Provot (1995) mit einer Feder-Sortierung verbunden. Zur lokalen Gitterverfeinerung wird ein einfaches Verfahren vorgestellt. (4) EyeSi: EyeSi ist eine virtuelle Realitat zum Training von Augenoperationen. Es werden alle wesentlichen Aspekte einer realen Operation nachgebildet: ein stereoskopisches Display ersetzt das Stereomikroskop. Originalgetreue Instrumente werden in einem Metallauge bewegt; die Positionen der Objekte werden mit einem optischen Trackingsystem gemessen. Ein PC ubernimmt die Verwaltungsaufgaben des Systems: Benutzerverwaltung, GUI-Steuerung uber einen Touchscreen, Kontrolle, Auswertung und Aufzeichnung von Trainingslaufen, realistische 3D-Visualisierung uber einen eigenen Renderer sowie generische Routinen fur die Instrument-Gewebe-Interaktion. Innerhalb dieses Rahmens sind verschiedene Trainingsmodule implementiert, die dem angehenenden Chirurgen nicht nur grundlegende manuelle Fahigkeiten vermitteln, sondern die Durchfuhrung vollstandiger Operationen gestatten. Durch die realistische Gewebesimulation und das aufwandige VR-Interface ist eine uberzeugende virtuelle Realitat entstanden, die bereits in der ophthalmochirurgischen Ausbildung im Einsatz ist.