Viele chronische Krankheiten und Beschwerden treten bei Personen, die in Bezug auf Qualifikation, Berufsstatus und Einkommen als benachteiligt angesehen werden können, vermehrt auf und nehmen zudem oftmals einen ungünstigeren Verlauf (Mielck 2000, 2005; Lampert et al. 2005; Richter/Hurrelmann 2009). In Deutschland basieren die meisten Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der sozialen und gesundheitlichen Lage auf Daten bevölkerungsrepräsentativer Gesundheitssurveys (Kurth et al. 2009). Zunehmende Bedeutung kommt den Routinedaten der Sozialversicherungsträger zu (Himmelreicher/Stegmann 2008; Brockmann et al. 2009; Hagen et al. 2010). Eine vielversprechende Datenbasis für die sozialepidemiologische Forschung und Gesundheitsberichterstattung, die bislang kaum genutzt wird, stellen die Scientific Use Files des Forschungsdatenzentrums der Rentenversicherung (FDZ-RV) dar. Im Folgenden werden diese herangezogen, um soziale Unterschiede beim Zugang in Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) zu untersuchen. Bei einer Berentung wegen Erwerbsminderung kommt chronischen Krankheiten, wie z. B. Herz-Kreislauf-Leiden, Bandscheibenvorfällen und schweren Depressionen große Bedeutung zu. Wer aufgrund solcher Krankheiten eine Erwerbstätigkeit nicht oder nur noch eingeschränkt verrichten kann, hat – sofern die Voraussetzungen erfüllt sind – Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Das frühzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben durch Frühberentung stellt für die Betroffenen zumeist ein gravierendes krankheitsbezogenes Ereignis dar. Der Frühberentung geht zum einen häufig eine längere Krankheitsgeschichte voraus, die zu langfristigen Einschränkungen der Gesundheit und Leistungsfähigkeit führt. Zum anderen ist der Bezug einer EM-Rente mit finanziellen Einbußen verbunden (Dragano et al. 2008). Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die Frage, inwiefern sich soziale Ungleichheit in der Inanspruchnahme von EM-Renten ausdrückt. Der Fokus liegt dabei auf Herz-Kreislauf-, Muskel-Skelettund psychischen Erkrankungen, die prozentual zu den häufigsten Diagnosegruppen der Frühberentung zählen. Soziale Unterschiede im Rentenzugang werden in erster Linie an der höchsten schulischen und beruflichen Qualifikation von Frauen und Männern in den alten und neuen Bundesländern festgemacht. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Qualifikation hohe Bedeutung für das Risiko einer krankheitsbedingten Frühberentung zukommt. Sie hat nicht nur Einfluss auf die beruflichen Chancen und den zu erreichenden Lebensstandard, sondern auch auf die körperlichen und psychischen Arbeitsbelastungen. Erwerbstätige mit niedrigem Qualifikationsniveau üben häufiger Berufe aus, die mit chronischen Fehlbelastungen und psychischem Stress verbunden sind (Dragano 2007; Marmot/Wilkonson 1999; Robert/ House 2000). Hochqualifizierte können eher selbstbestimmt arbeiten und sie haben geringere Dequalifizierungs-, Arbeitslosigkeitsund gesundheitliche Risiken (Radl 2007). In diesem Zusammenhang ist auch die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes und ihre Auswirkung auf die Inanspruchnahme von EM-Renten zu berücksichtigen. Frauen und Männer sind nach wie vor unterschiedlichen Arbeitsumgebungen und Formen von Anforderungen und Belastungen in der Arbeitswelt ausgesetzt. Während die Arbeitsbedingungen von Männern zumeist höhere physische Gesundheitsrisiken aufweisen (Beermann et. al. 2008; Kuhn 2008; Lademann/Kolip 2005; Koppelin/Müller
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