Netzbasiertes kooperatives Lernen mit Musterfällen und Fallaufgaben bei komplementärer Expertise

Der grose Zuwachs an Wissen in vielen Bereichen, verbunden mit der zunehmenden Spezialisierung diesesWissens, hat zur Konsequenz, dass zur zielfuhrenden und effizienten Losung von Aufgaben immer ofter verschiedene Experten zusammenarbeiten mussen. Zwar stehen durch die Entwicklung der Informationstechnologie zugleich Moglichkeiten offen, ortsubergreifend Wissen auszutauschen. Ihre adaquate Nutzung zur gemeinsamen Aufgabenbearbeitung erfordert aber die Entwicklung neuer Kompetenzen, wobei weit uber deren technische Handhabung hinaus Fragen angesprochen sind, wie Aufbau einer gemeinsamen Verstandigungsbasis, Beachtung von Regeln der Kooperation und Dialogfuhrung, gemeinsame Entscheidungsfindung unter Berucksichtigung des relevanten Wissens aller Beteiligten usw. Einfache Ubertragungen aus "Face-to-Face"-Situationen sind im allgemeinen nicht erfolgreich. In diesem Projekt wird die netzbasierte Wissenskommu-nikation bei der Bearbeitung von Aufgaben untersucht werden, die Expertise aus zwei Bereichen verlangt, die typischerweise nicht in einer Person vereint ist. Dem Stand der technischen Entwicklung entsprechend wird mit Kommunikationswerkzeugen gearbeitet, die einen moglichst reichhaltigen Wissensaustausch ermoglichen. Dies bedingt eine leistungsfahige Audio-Video-Verbindung und die Nutzung eines Texteditors als Teil eines "Application sharing"-Systems, das die gemeinsame Arbeit unterstutzt, und die gleichzeitige Bearbeitung von Dokumenten erlaubt. Inhaltlich wird die Zusammenfuhrung komplementarer Expertise am Beispiel von Medizin und Psychologie in der Psychotherapie untersucht. Bei der Diagnoseerstellung und Therapieplanung in der Behandlung von psychisch Kranken ist haufig medizinische und psychologische Expertise erforderlich. Die Zusammenarbeit von Medizinern und Psychologen ist aber nicht selten durch unzureichende Kenntnisse uber die jeweils andere Disziplin und durch mangelnde Kompetenzen in effektiver Teamarbeit gekennzeichnet. Die Nutzung neuer technologischer Moglichkeiten fur netzbasierte Formen der Zusammenarbeit steht hier noch am Anfang. Eine Moglichkeit zur Verbesserung dieser Situation ware die gemeinsame Arbeit an Fallen etwa durch Studierende hoherer Semester der Medizin und Psychologie und von Postgraduierten beider Facher in der psychotherapeutischen Weiterbildung. Dadurch konnte ein Einblick in das relevante Wissen der jeweils anderen Seite und ein gemeinsames Verstandnis ebenso gefordert werden wie Kompetenzen in netzbasierter Kommunikation, wenn diese Fallbearbeitungen netzbasiert erfolgen und in geeigneter Weise moderiert und unterstutzt werden. Um im Projekt dem gewahlten Gegenstandsbereich fur die Wissenskommunikation gerecht zu werden und die Ergebnisse auch in die Psychotherapieforschung einfliesen lassen zu konnen, wird auch die Untersuchung selbst kooperativ durchgefuhrt. Erster Antragsteller ist ein Psychologe mit Schwerpunkten in der Kognitionspsychologie und der Padagogischen Psychologie, zweiter Antragsteller ein Klinischer Psychologe, ausgewiesen auf dem Gebiet der Psychotherapieforschung. Ziele der Gestaltung des netzbasierten Lernens bei komplementarer Expertise sind die Forderung (a) des inhaltlichen Wissens der Probanden in der eigenen und in der fremden Disziplin (b) effektiverer Formen der Kooperation und Dialogfuhrung, und (c) der Kompetenz in technischen Gegebenheiten netzbasierter Kommunikation. Im Gegensatz zu vielen der bisherigen rein deskriptiven Arbeiten auf diesem Gebiet soll bei der Gestaltung der Lernbedingungen streng theoriebezogen vorgegangen werden. Jede Masnahme wird aus Befunden der einschlagigen Teildisziplinen der Psychologie - Kognitionspsychologie, Sozialpsychologie, Padagogischen Psychologie und (aufgrund der gewahlten Domane) Klinischen Psychologie — abgeleitet, so dass die Chance gegeben ist, generische Wirkfaktoren aufzudecken und verallgemeinerungs-fahige Ergebnisse zu erzielen. Experimentell getestet werden in diesem Projekt in der ersten Antragsphase vor allem Musterfalle als kooperative Lerngelegenheiten. So wie sie hier verstanden werden, umfassen sie jeweils: (a) eine ausgearbeitete inhaltliche Problemlosung, (b) eine Auswahl charakteristischer, zielfuhrender Kooperations- und Dialogsituationen und (c) Beispiele effizienter Nutzung der technischen Gegebenheiten der netzbasierten Kommunikation. Ihre Wirkung bei unterschiedlicher Gestaltung und auch im Vergleich mit anderen kooperativen Lerngelegenheiten wird im Rahmen eines umfassenden Versuchsablaufes getestet, der neben einer Basisinformation und verschiedenen Testphasen zur Prufung des Lerntransfers eine Fallaufgabe enthalt, die ohne Losungsvorgabe kooperativ netzbasiert zu bearbeiten ist. Mit Blick auf dieses Vorhaben wird bei der folgenden Skizzierung des Standes der Forschung auf Musterfalle und Fallaufgaben als vielversprechende Lernaufgaben eingegangen; es werden die Chancen netzbasierten kooperativen Lernens skizziert, vor allem aber auch die Schwierigkeiten, die es zu uberwinden gilt, um gunstige Ergebnisse zu erzielen. Dann wird das Konzept der komplementaren Expertise aus der Sicht der psychologischen Expertiseforschung beleuchtet. Zuletzt wird der Stand der Technik netzbasierter Kommunikation soweit angeschnitten, wie es fur dieses Projekt erforderlich ist. Anschliesend werden kurz die eigenen Vorarbeiten zu diesem Thema aufgelistet.

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