Die psychoanalytische Abstinenzregel. Vom regelhaften zum operationalen Gebrauch

Freud formulierte die Abstinenzregel aufgrund seiner Erfahrungen im Umgang mit hysterischen Patientinnen, vor deren »Verliebtheit« der (mannliche) Analytiker sich schutzen musse. Aus dieser Mannerphantasie, die mit einem bestimmten historischen und kulturellen Ort verknupft ist, entstand im Laufe der Zeit eine abstrakte Regel, die den Analytiker generell auf Neutralitat und Abstinenz im therapeutischen Umgang mit seinen Patienten verpflichtete. Erst Ferenczis und Balints technische Experimente bei praodipal gestorten Patienten zeigten, das eine total abstinente Haltung im Sinne des Heilungsprozesses kontraproduktiv sein kann. Cremerius pladiert fur eine Revision der Abstinenzregel im Sinne ihrer operationalen Anwendung – der Analytiker soll nicht Regeln einhalten, sondern Funktionen in einem Prozes ausuben.