Psychiatrie im Spannungsfeld zwischen Gefahrenabwehr und Therapie: Zwangsbehandlung in der Zeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs

Mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.03.2011 (2 BVR 882–09) wurde das Maßregelvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz für verfassungswidrig erklärt, soweit es Behandlungen und Untersuchungen zur Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten zuließ. Dem Gesetzgeber wurde auferlegt, verfassungskonforme rechtliche Grundlagen für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zu schaffen. Angesichts der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen knüpfte das BVerfG die Zulässigkeit einer medikamentösen Zwangsbehandlung an hohe rechtliche Hürden. In der Konsequenz verwarf der Bundesgerichtshof 2012 (XII ZB 99/12; XII ZB 130/12) auch die betreuungsrechtliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung. In diesen Entscheidungen waren Übergangsregelungen nicht vorgesehen, es entstand dringender Handlungsbedarf. Die DGPPN begrüßte in ihrer Stellungnahme vom 16.01.2012 [1], dass das BVerfG mit diesem Beschluss die Patientenautonomie gestärkt hat. Zugleich stieß die DGPPN eine grundsätzliche Diskussion über den Umgang mit psychisch Kranken an, die von ordentlichen Gerichten zur Sicherung psychiatrischer Einrichtungen überantwortet werden, aber krankheitsbedingt einer wirksamen Behandlung nicht zustimmen können. Die Konsequenzen einer solchen Nichtbehandlung eigenoder fremdgefährdender Patienten für alle Beteiligten und die Gesellschaft wurden aufgezeigt. Die DGPPN begleitete die nicht zuletzt hierdurch angestoßene Auseinandersetzung in weiteren Stellungnahmen und wirkte auf die verantwortliche und praktikable Umsetzung der Neuregelung des Betreuungsrechts hin. Dieses trat am 26.02.2013 in Kraft [2] und wurde seitens der DGPPN uneingeschränkt wegen der damit verbundenen größeren Patientenautonomie und Rechtssicherheit für die Behandelnden begrüßt [3]. Die DGPPNwurde kritisiert [4–7], einerseits, weil sie die Zuständigkeit der Psychiatrie für Sicherungsaufgaben ohne Behandlungsauftrag infrage stellte, andererseits, weil sie Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen nicht sofort als einer zeitgemäßen psychiatrischen Patientenversorgung unangemessen verwerfenwollte. Unterstellt wurde, die DGPPN wolle den früheren Status quo nicht ändern, sondern rechtfertigen [7]. Gerade so, als stellte sich die DGPPN der Fortentwicklung einer Psychiatrie entgegen, welche die freie Willensbestimmung ihrer Patienten anerkennt, angemessen respektiert und für ihre Autonomie streitet. Wie sehr diese Polemik die Diskussion innerhalb der Fachgesellschaft um eine differenzierte Position verfehlt, verdeutlichen die verschiedenen Positionspapiere und Task Forces, mit denen die DGPPN ihre Herausforderung für die Fortentwicklung des Faches annimmt [8, 9]. In verschiedenen Aufsätzen hat Zinkler für den Erfolg seines zwangs(behandlungs)freien Umgangs mit psychisch kranken Patienten geworben und zur Nachahmung aufgefordert [4–6]. Ebenso wies Finzen auf den nachholenden Charakter der aktuellen Diskussion in Deutschland hin und mahnte zur Gelassenheit [7]. Dies magman so sehen, für die angestoßene Auseinandersetzung um die Aufgabe der Psychiatrie und den Umgang einer freiheitlichen Gesellschaft mit psychisch Kranken greifen diese Positionen allerdings zu kurz. Wie sehr, wird daran deutlich, dass Psychiatrie nicht nur kurative Aufgaben hat, also nicht nur behandlungsmotivierten Patienten Hilfe bietet, sondern, und das betrifft den Kern schwerer psychischer Störungen, auch und gerade dann gefordert ist, wenn die Willensbildung störungsbedingt vorübergehend beeinträchtigt ist. Was also in Situationen, in denen anvertraute psychisch kranke Patienten, für die wir Sorge tragen, eigenoder fremdgefährdend sind? Wenn Ärzte Aufgaben für die Gesellschaft wahrnehmen und von Gerichten beauftragt werden, durch Therapien Gefährdungen abzuwenden? Wie differenziert dies juristischerseits gesehen wird, be-