Energieinformatik

Das Energiesystem befindet sich weltweit in einem Transitionsprozess. Annähernd alle Volkswirtschaften steuern in ihrem Energiemix einen Ausbau erneuerbarer oder dezentraler Energieträger an. Man erhofft sich dadurch, dem drohenden Klimawandel entgegenzuwirken, die Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger zu reduzieren und – hauptsächlich in Entwicklungsund Schwellenländern – Energie ohne die Installation einer weiträumigen Infrastruktur lokal erzeugen zu können. Schon früh wurde erkannt, dass dieser Wandel in der Erzeugerstruktur zahlreiche weitere Änderungen nach sich zieht. Besonders zwei Effekte sind hier ausschlaggebend: Dezentralität, also die Einspeisung von Strom auf den unteren Spannungsebenen, und Volatilität, also eine stochastische Einspeisung. Für die nun deutlich anspruchsvollere Aufgabe der Koordination von Erzeugung, Verbrauch, Verteilung und Transport wird in großem Umfang Informationstechnologie eingesetzt werden müssen. Zusätzlich sorgt die Marktliberalisierung, die den Endkunden in den Mittelpunkt rücken möchte, mit mehr Akteuren und erhöhtem Informationsaustausch für steigende Komplexität. Das IKT-gestützte Stromversorgungssystem bezeichnet man als Smart Grid. Dessen konkrete Ausgestaltung hängt hochgradig von den nationalen Märkten, regulatorischen Rahmenbedingungen und – oft regional geprägten – technologischen Gegebenheiten ab. Ein Smart Grid zeichnet sich dadurch aus, dass wo sinnvoll alle Komponenten der Stromversorgung, also Erzeuger, Verbraucher, Betriebskomponenten des Stromnetzes und auch Speicher, kommunikativ verbunden sind, die jeweiligen Systemzustände in Realzeit abgerufen und die Komponenten, soweit sie steuerbar sind, über diese Kommunikation angesteuert werden können. Dies ermöglicht neue Geschäftsmodelle und erfordert neue Märkte, birgt aber auch das Risiko zu großer Komplexität und der Marktferne bei fehlerhafter Umsetzung. Die Informatik wird hier unverzichtbare Beiträge bei der Bewältigung kurzer Innovationszyklen, Beherrschung komplexer Infrastrukturen und endkundenorientierter Produkte leisten. Die junge Querschnittsdisziplin, die sich mit diesen Fragestellungen beschäftigt, heißt Energieinformatik. Sehr verschiedene Teildisziplinen leisten hier Beiträge: Informationssysteme, Agententechnologien, Softwaretechnik, Sicherheitsforschung, um nur einige zu nennen. Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft sind die forschenden und entwickelnden Arbeitsgruppen jedoch häufig technologieorientiert aufgestellt. Um die Bildung einer Energieinformatik-Community aus Wissenschaft und Wirtschaft zunächst im deutschsprachigen Raum voranzubringen, wurde im Rahmen einer D-A-CH-Initiative unterstützt von den verantwortlichen Ministerien Deutschlands, Österreichs und der Schweiz eine Konferenzreihe ins Leben gerufen. Die erste dieser Konferenzen, die Energieinformatik 2012, fand am 5./6. Juli 2012 in Oldenburg mit etwa 90 Teilnehmern statt. In den in diesem Heft zusammengetragenen Konferenzbeiträgen wird das weite Themenspektrum der Energieinformatik sichtbar, das wir Ihnen als Informatikinteressierten nahebringen möchten. Die Beiträge reichen von der Untersuchung zukünftiger dezentraler Märkte über Fragestellungen der IKT-Integration dezentraler Anlagen bis zur Netzstabilitätssicherung. In einigen dieser Beiträge wird eine Besonderheit der Energieinformatik sichtbar: Aufgrund der besonderen Anforderungen an die Ausfallsicherheit des Stromversorgungssystems und der Echtzeitwechselwirkun-