Konfessionelle versus religiöse Konfliktlinie in der deutschen Wählerschaft

Das unterschiedliche Wahlverhalten deutscher Katholiken und Protestanten gehort unter der Bezeichnung konfessionelle Konfliktlinie' zum festen Kanon der Wahlforschung. Seit Mitte der 1980er Jahre wird jedoch vermutet, die konfessionelle Konfliktlinie wurde durch eine religiose Spannungslinie erganzt oder gar abgelost. Diese Behauptung wird durch einen Vergleich der relativen Bedeutung der Konfession und der Religiositat fur die Wahlabsicht Anfang der 1980er und Anfang der 1990er fahre untersucht. Zu beiden Zeitpunkten ist die Bedeutung der Religiositat deutlich groser. Das heist, das die Ablosung der konfessionellen Spannungslinie fruher stattgefunden hat oder aber, das eine konfessionelle Spannungslinie im eigentlichen Sinn nie existierte. Die Wahlforschung sollte ihre Fixierung auf Katholiken und Protestanten aufgeben und statt dessen den Gegensatz zwischen Glaubigen und Nichtglaubigen starker in den Blick nehmen. Die prasentierten Analysen fur Ostdeutschland weisen in dieselbe Richtung. 1. Einleitung Im Mittelpunkt dieses Aufsatzes steht der fur die alte Bundesrepublik charakteristische Zusammenhang zwischen Konfessionszugehorigkeit und Parteipraferenz: Wahrend katholische Wahler wesentlich starker zur Wahl der Unionsparteien neigen, bevorzugen evangelische Wahler, je nach ihrer beruflichen Stellung, starker die Wahl der SPD oder FDP. Dieses Phanomen, welches gemeinhin mit dem Begriff der konfessionellen Spannungslinie1 bezeichnet wird, zeigt eine erstaunlich hohe Konstanz. Allerdings scheint diese Konfliktlinie seit Anfang der 1970er Jahre - im Zuge des allgemeinen Sakularisierungstrends (Jagodzinski 1995) - entscharft worden zu sein. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, haben sich die Anteile der CDU und SPD wahlenden Katholiken im Laufe der letzten 25 Jahre deutlich angenahert. Ob sich die Starke oder sogar der Charakter dieser Spannungslinie tatsachlich gewandelt hat, soll im weiteren genauer untersucht werden.

[1]  R. Schnell,et al.  Eine empirische Untersuchung einer Individualisierungshypothese am Beispiel der Parteipräferenz von 1953–1992 , 1998 .

[2]  W. Jagodzinski Säkularisierung und religiöser Glaube. Rückgang traditioneller Religiosität und religiöser Pluralismus in Westeuropa , 1995 .

[3]  Steffen M. Kühnel Programme zur Logitanalyse von kategorialen abhängigen Variablen auf Individualdatenebene , 1995 .

[4]  Matthias Metje Wählerschaft und Sozialstruktur im generationswechsel : eine Generationsanalyse des Wahlverhaltens bei Bundestagswahlen , 1994 .

[5]  M. Klein,et al.  Wer wählt rechts? : die Wähler und Anhänger rechtsextremistischer Parteien im vereinigten Deutschland , 1994 .

[6]  Jos J. P. Hendrickx,et al.  Die konfessionelle Mischehe in Deutschland (1901-1986) und den Niederlanden (1914-1986) , 1994 .

[7]  W. Jagodzinski,et al.  Der Wandel kirchlicher Religiosität in Westeuropa , 1993 .

[8]  Steffen M. Kühnel,et al.  Einflüsse sozialer Konfliktlinien auf das Wahlverhalten im gegenwärtigen Vierparteiensystem der Bundesrepublik , 1990 .

[9]  H. Rattinger,et al.  Wirtschaftlicher Wandel, religiöser Wandel und Wertwandel : Folgen für das politische Verhalten in der Bundesrepublik Deutschland , 1985 .

[10]  F. U. Pappi,et al.  The German Electorate: Old Cleavages and New Political Conflicts , 1982 .

[11]  F. U. Pappi Konstanz und Wandel der Hauptspannungslinien in der Bundesrepublik , 1979 .

[12]  H. Esser Methodische Konsequenzen gesellschaftlicher Differenzierung / Methodological Consequences of Societal Differentiation , 1979 .