Was Gottes ist
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„So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ (Matth. 22.21, Zinsgroschen). Diese Worte fielen eher beiläufig. Mit ihnen vermied es Jesus, in eine ihm gestellte Falle1 zu treten. Sie hatten trotz ihrer Beiläufigkeit eine große Nachwirkung. Nach diesem Spruch teilten sich im hohen Mittelalter (anders als z.B. in der islamischen Welt) Kaiser und Könige in die Macht mit der Kirche, der Sachwalterin der Interessen Gottes. Der Kaiser beschränkte sich auf das Weltliche; die Kirche beanspruchte die Macht über die Seelen. Diese Teilung empfanden die Menschen des Mittelalters als gottgegeben. Wenn einer der beiden Kontrahenten in den Machtbereich des anderen einzudringen versuchte, bekam es ihm in der Regel nicht gut. Auch heute sind wir nicht geneigt, dem Staat zur weltlichen auch die Macht über die Seelen einzuräumen. Jedoch hat sich da im Laufe der Neuzeit einiges verschoben. An die Stelle der Kirche Gottes ist eine anonyme Werteordnung getreten. Sie gibt an, was den Seelen gegenüber verantwortbar ist. Das leitet sie maßgeblich aus dem Dekalog des Alten Testaments und aus Jesu Bergpredigt ab, neuerdings flektiert durch die moderne Werbung, aber es gibt keine Stelle oder Institution – wenn schon nicht die Kirche – der die irdische Macht über die Seelen zuerkannt wird. In einem Teilaspekt verlief das bislang vergleichsweise problemlos: Die Macht über die Seele des Kindes ist in die Hände seiner Eltern gelegt. Was davon verantwortbar ist, wurde diesen vordem von der Kirche und wird ihnen heute von der Werteordnung gesagt. Der Staat erzwingt deren Einhaltung – z.B. keine Prügelstrafen. Er stellt dazu die Schulen etc. Die Eltern behalten die Verantwortung. Jedoch der Grundsatz, dass die Kindererziehung den Eltern obliegt, erodiert. Sie sind berufstätig und der Staat sieht sich veranlasst, den dadurch bedingten Ausfall an Erziehung zu kompensieren. Er betreut tagsüber die Kinder in den schulischen Einrichtungen, allein schon, um allen Chancengleichheit zu sichern. So nimmt er zunehmend mehr direkten Einfluss. Das erfolgt von der Wissenschaft unterstützt. Die Eltern können nicht mithalten. Der Staat verlässt sich nicht auf sie und übernimmt zunehmend mehr Verantwortung. So schickt er sich an, die zuerst der Kirche und dann auch den Eltern entgangene Macht über die kindliche Seele auszuüben. Ein anderes Beispiel: die Welt der Kommunikation. Vordem hatte der Staat das Postund Fernmeldemonopol. Nun hat er zwar beide Dienstleistungen privatisiert, doch sorgt er sich zunehmend mehr um das Kommunizierte. Er schränkt die grundsätzlich gewährte Kommunikationsfreiheit je nach Inhalt ein; etwa mit den Datenschutz oder zum Schutz des Kindes vor missliebigem Internet-Angebot. Er verpflichtet sich zwar, die Privatsphäre und die sonstigen seelischen Angelegenheiten des Bürger zu achten, doch hat er die entscheidende Macht, seine Gesetze seinem Bedarf anzupassen und mit ihnen in die Seelen ordnend einzugreifen. Es hat sich gezeigt, dass der Staat von dieser Macht auch Gebrauch macht, sobald es ein Anlass rechtfertigt. Er tut das nicht mutwillig, aber er verzichtet bei Wegfall des Anlasses nicht auf den erzielten Machtzugewinn. Wäre es denn sinnvoll, eine geschlossene Lücke wieder aufzureißen, um sie beim nächsten Bedarfsanfall wieder schließen zu müssen? Das Paradoxe für den Datenschutz ist: Ursprünglich zielte er darauf ab, ein „Brave New World“ zu verhindern; nun, liebe Leserinnen und Leser, stelle ich für mich fest, dass der (disponible) Datenschutz eigentlich ein Schritt in die „schöne neue Welt“ ist. Des Abendlandes älteste und für die geistige Entwicklung ungemein fruchtbare Gewaltenteilung – dem Kaiser, was des Kaisers ist, Gott, was Gottes ist – ist aufgelöst und vorbei. Der Staat ist allein gelassen und muss einspringen. Wollen wir hoffen, dass er es gut schafft.