Die Verbraucherwirklichkeit : Mehr als 50 Milliarden Euro Schäden jährlich bei Altersvorsorge und Verbraucherfinanzen ; Befunde, Handlungsempfehlungen und Lösungsmöglichkeiten

Zur „finanziellen Gesundheit“ gehört als Hauptaufgabe, sich mit der Altersvorsorge auseinander zusetzen. Das Motiv der Altersvorsorge gilt in der empirischen Finanzforschung schon seit langem als wichtige Determinante des Verbraucher(finanz)verhaltens. Viele Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch Jüngere, zeigen ein hohes Interesse, sich zu informieren und zu handeln. Gleichzeitig sind viele bei der Nutzung von Finanzdienstleistungen für die Altersvorsorge auf externe Information und Beratung angewiesen. Durch mangelhafte Beratungsqualität und wenig Kundenorientierung sowie aufgrund eines fehlenden systematischen, ganzheitlichen Verbraucherschutzes erleiden Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Nutzung von Finanzdienstleistungen aber andererseits zum Teil erhebliche finanzielle Schäden. Allein durch fehlgeleitete Abschlüsse von Kapitallebensund privaten Rentenversicherungen (wie eine „planned obsolescence“ beim Abschluss) und ineffiziente „Riester“-Verträge („wie eine Lotterie“) oder überhöhte Zinsen auf Dispositionskredite entstehen Verbraucherinnen und Verbrauchern jährliche Schäden in Milliardenhöhe. Hinzu kommen Schäden in weiteren Marktsegmenten wie offenen und geschlossenen Fonds. Aufgrund der Daten, die in unserer Studie zusammengestellt worden sind, wird eher konservativ ein jährlicher Schaden in Höhe von mindestens 50 Milliarden Euro geschätzt. Dazu gehören geschätzte jährliche Schäden bei „Riester“-Produkten (mind. 1 Mrd. Euro), bei Kapitallebensund privaten Rentenversicherungen (ca. 16 Mrd. Euro), bei Finanzprodukten des „grauen“ Kapitalmarkts, die auch zur Altersvorsorge verwendet werden (mind. ca. 30 Mrd. Euro), sowie durch fehlende und nicht genutzte Sondertilgungsmöglichkeiten bei der privaten Immobilienfinanzierung (mind. 1 Mrd. Euro). Darüber hinaus fällt auf, dass durch die zersplitterte Regulierung zu Produktinformationen von Finanzdienstleistungen mit aktuell mindestens vier verschiedenen Regulierungskonzepten (WpHG-Instrumente, Fonds, „Riester“-Produkte, Versicherungen) eine einfache, nachvollziehbare, standardisierte und zum Vergleich geeignete Produktinformation nur ansatzweise und bestenfalls 1 Vgl. Oehler, 1995, Die Erklärung des Verhaltens privater Anleger Theoretischer Ansatz und empirische Analysen, Poeschel-Verlag, Betriebswirtschaftliche Abhandlungen, Neue Folge Bd. 100, Stuttgart. 2 Vgl. WDR, 2011/2012, Studie zum Finanzwissen junger Erwachsener und zur Vergleichsgruppe der Gesamtbevölkerung „Ohne Moos nix los – Wie junge Menschen über Geld und Finanzen denken“ / "Typen für die Sendung", WDR, Köln 2011/12; www.wdr5.de/fileadmin/user_upload/Sendungen/Morgenecho/2012/07_Juli/Typen_fuer_die_Sendung_Bericht_4_1.pdf. 3 Vgl. Oehler et al., 2009, Zur Qualität der Finanzberatung von Privatanlegern: Probleme des Beratungsprozesses und Lösungsansätze, Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats für Verbraucherund Ernährungspolitik beim BMELV. 4 Oehler, 2012, Bei Abschluss: Verlust? Milliardenschäden durch fehlgeleitete Abschlüsse von Kapitallebensund Rentenversicherungen; in: VuR 27, 429-433 [Oehler, 2012, VuR]. Vgl. auch Verbraucherkommission Baden-Württemberg, 2012, Stellungnahme "Kapitallebensund private Rentenversicherungen: Mehr Transparenz und klare Regulierung für einen besseren Verbraucherschutz" vom 06.11.2012, Stuttgart und Oehler, 2012, Hintergrundpapier "Zur Misere fehlgeleiteter Abschlüsse von Kapitallebensund privaten Rentenversicherungen durch Verbraucher: Problemlage und Lösungsvorschläge" vom 06.11.2012, Verbraucherkommission Baden-Württemberg [Oehler, 2012, Hintergrundpapier]. 5 Oehler, 2009, Alles „Riester“? Die Umsetzung der Förderidee in der Praxis; Gutachten im Auftrag des vzbv, Bamberg/Berlin [Oehler, 2009, vzbv]. 6 Oehler et al., 2012, Dispositionskredite: Verbraucherschutz durch bonitätsgerechte Einstufung?, Working Paper, Bamberg (forthcoming); vgl. hierzu auch die Untersuchungen der Stiftung Warentest [Oehler et al., 2012, Dispositionskredite]. 7 Die Stiftung Warentest und vzbv, 2010, errechnen in Hinblick auf Riester-Verträge, Dispositionskredite und Fremdabhebegebühren bereits Schäden von über 700 Millionen Euro p.a. Vgl. http://www.test.de/presse/pressemitteilungen/Milliardenschaeden-durch-fehlende-Finanzaufsicht-Stiftung-Warentestund-vzbv-stellen-Berechnungen-vor-1859946-0/. Ausgehend von Daten der Deutschen Bundesbank dürften allein die Schäden durch zu hohe Zinsen auf Dispokredite diesen Wert bereits überschreiten (vgl. Oehler et al., 2012, Dispositionskredite). 8 Die in einer Studie des BMELV angeführte und nicht näher hergeleitete jährliche Schadenssumme für Verbraucher von 20-30 Mrd. Euro dürfte schon bei ihrer Nennung Makulatur gewesen sein. Die Studie des BMELV spricht ohne nähere Herleitung oder Begründung von dieser Schadenssumme. Vgl. http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Verbraucherschutz/FinanzenVersicherungen/StudieFinanzvermittler.pdf;jsessionid=09ECD1F8E6A131F2F F05EF1505A95044.2_cid242?__blob=publicationFile. Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler │ „Milliardenschäden bei Altersvorsorge und Verbraucherfinanzen“ ©2012 by Univ.-Prof. Dr. Andreas Oehler 2 bruchstückhaft vorhanden ist. Auch die Regulierung zur Beratung, z.B. mit verschiedensten Protokolltypen oder zur Honorarberatung, ist alles andere als standardisiert, nachvollziehbar und für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich. Es sollte also z.B. nicht der Eindruck erweckt werden, dass durch die Forcierung einer Honorarberatung die bekannten Probleme der provisionsgetriebenen Beratung automatisch überwunden würden. Vielmehr wird entscheidend sein, welche genaue Ausgestaltung eine Honorarberatung erfährt (s.u.), und wie diese in Relation zur provisionsgetriebenen Beratung konzipiert ist. Aufgrund der skizzierten Problemlage hat diese Kurz-Studie zum Ziel, zum einen die Schäden für Verbraucherinnen und Verbraucher im Bereich Verbraucherfinanzen mit Fokus auf der Altersvorsorge auf Grundlage bestehender Studien realistisch zu schätzen und zusammenzuführen. Zum anderen sollen praxisorientierte Lösungsvorschläge vorgestellt und diskutiert werden, um einen besseren Verbraucherschutz bei Verbraucherfinanzen (Finanzdienstleistungen) und insbesondere der Altersvorsorge zu erreichen.